
Liebe Leserin, lieber Leser,
hat sich nicht jeder von uns schon einmal als völligen
Versager empfunden? Halb so schlimm - zumindest, solange
man sich nicht fortwährend als völliger Versager erweist.
Aber erweise ich mich denn sprachlich nicht schon als
völliger Versager, wenn ich mich als "völligen Versager"
empfinde? Versagen wollen wir Ihnen die Antwort darauf
jedenfalls nicht.
Vielleicht sollten wir uns aber gar nicht zu sehr mit
solchen Feinheiten plagen, sondern eher den lieben Gott
"ein guter Mann" sein lassen oder vielmehr "einen guten Mann"
sein lassen?
Und was es mit dieser und anderen Wendungen um "Gott" und
"Götter" auf sich hat, haben wir noch für Sie nachgeschlagen.
Viel Spaß beim Lesen !
Was Sie schon immer wissen wollten
sich als völligen/völliger Versager empfinden
Ob sich jemand nun als völliger oder als völligen Versager
empfindet, sagt nun wirklich nichts Entscheidendes über seine
sprachliche Kompetenz aus. Beides ist möglich. Anders verhält
es sich dagegen mit "sich erweisen". Hier funktioniert allein:
"Niemand erweist sich fortwährend als völliger Versager." Woran
liegt das?
Es liegt daran, dass "empfinden" in unserem Beispiel zwar reflexiv
verwendet wird, aber kein echt reflexives Verb ist. Wird nämlich
ein nicht echt reflexives Verb, von dem eine Fügung mit "als"
oder "wie" abhängt, reflexiv verwendet, ist sowohl der Bezug auf
das Subjekt (im Nominativ) möglich als auch der auf das
Reflexivpronomen (im Akkusativ): "Jeder hat sich schon einmal als
absoluter/absoluten Versager empfunden. Der Filmpreisträger sieht
sich schon als großer/großen Hollywoodstar."
Nicht echt reflexiv ist ein Verb dann, wenn statt des
Reflexivpronomens ("mich, dich, sich" u. a.) auch etwas anderes
eingesetzt werden könnte. Tut man dies, ist allerdings nur noch der
Akkusativ möglich: "Jeder hat seinen Chef schon mal als absoluten
Versager empfunden. Der Regisseur sieht den Filmpreisträger schon
als großen Hollywoodstar."
Dagegen sind Verben wie "sich erweisen, sich verhalten, sich zeigen"
usw. echt reflexive Verben. Bei ihnen kann man das Reflexivpronomen
nicht durch etwas anderes ersetzen. Bei echt reflexiven Verben,
von denen eine Fügung mit "als" oder "wie" abhängt, ist stets nur
der Bezug auf das Subjekt (im Nominativ) möglich: "Fast jeder hat
sich schon mal als ganz, ganz gewiefter Experte gezeigt."
"Der Filmpreisträger verhielt sich schon wie ein Hollywoodstar."
Hätten Sie's gewusst?
den lieben Gott einen guten/ein guter Mann sein lassen
Bei dieser Wendung handelt es um den - bei Lateinschülern
berüchtigten - Akkusativ mit Infinitiv (lateinisch a. c. i. =
accusativus cum infinitivo). Das ist eine Konstruktion, mit der
zwei Sachverhalte kombiniert werden, indem das Akkusativobjekt des
ersten Verbs zugleich als Handlungsträger des zweiten fungiert:
"Der Kriminalbeamte hört die Flöhe. Die Flöhe husten." Kombiniert:
"Der Kriminalbeamte hört die Flöhe husten." Im Deutschen ist der
Akkusativ mit Infinitiv auf die Verben "fühlen, heißen, hören,
lassen, machen, sehen, spüren" beschränkt.
In einem Satz nun wie "Der liebe Gott ist ein guter Mann" ist das
Verb "sein" durch einen (prädikativen) Nominativ, nämlich "ein guter
Mann", erweitert. Auch solch ein Satz mit prädikativem Nominativ
kann in einen Akkusativ mit Infinitiv einbezogen werden. Dann wird
das ursprüngliche Subjekt zum Akkusativobjekt ("den lieben Gott"),
während der prädikative Nominativ ("ein guter Mann") sowohl im
Akkusativ wie auch im Nominativ auftreten kann.
In festen Redewendungen kommt jedoch überwiegend der Akkusativ vor:
"Wir lassen den lieben Gott einen guten Mann (selten: ein guter Mann)
sein."
Für Sie nachgeschlagen
Wendungen um "Gott" und "Götter"
"Den lieben Gott einen guten Mann sein lassen": Wer den lieben Gott
einen guten oder frommen Mann sein lässt, stellt sich Gott nicht als
Rachegott vor, der die Menschen für ihren Müßiggang bestraft, und
verbringt unbekümmert seine Zeit. [...]
"Ein Bild für die Götter": So oder auch als "Anblick" oder "Schauspiel
für die Götter" bezeichnet man scherzhaft einen komischen oder gar
grotesken Anblick, den jemand oder etwas bietet. [...]
Eine solche Wendung findet sich schon in Goethes Singspiel "Erwin und
Elmire" (1775), wo es heißt: "Ein Schauspiel für Götter/Zwei Liebende
zu sehn!/Das schönste Frühlingswetter/Ist nicht so warm, so schön" (I, 1).
Bei Goethe wird also das "Schauspiel für Götter" noch als etwas sehr
Schönes, keineswegs als etwas Lächerliches angesehen.
"Leben wie Gott in Frankreich": Wer wie Gott in Frankreich lebt, lebt
im Überfluss. [...]
Die Herkunft dieser Wendung ist nicht eindeutig geklärt. Möglicherweise
entstand sie kurz nach der Französischen Revolution, als in Frankreich
für einige Zeit der "Kult der Vernunft" an die Stelle des Christentums
gesetzt wurde. Der Gott des Christentums hatte damals sozusagen keine
Arbeit mehr und konnte es sich bequem machen. Nach dieser Vorstellung
könnte die Wendung im Volksmund entstanden sein. Nach einer anderen
Erklärung ist mit "Gott" die französische Geistlichkeit gemeint, der
es bisweilen materiell sehr gut ging.
Noch Fragen?